„Ich musste dich unbedingt sehen. Du fehlst mir so sehr.“ Ich schaue ihr in die Augen. Irgendetwas ist anders als sonst. Ich kann es nicht fassen. Und doch liegt etwas Schmerzvolles in der Luft. Sie sagt erst nichts. Dann spricht sie. „Wir haben uns so lange nicht gesehen. Und ich empfinde unsere Freundschaft nur noch als Druck und Zwang.“ Sie schaut mir bei diesem Satz kaum in die Augen. Sie weicht meinen Blicken aus. Ich fühle ein inneres Fallen in meiner Brust. Und all das – ausgerechnet jetzt – eine Woche vor meinem Physikum. Ein schlechteres Timing erscheint mir nicht denkbar. Meine Gedanken fangen an zu kreisen. Wie kann sie Druck und Zwang empfinden und sich gleichzeitig beklagen, dass wir uns so lange nicht gesehen haben? Wie passt das zusammen? Wahrscheinlich versteht man diesen Satz nicht mit dem Verstand, sondern nur mit dem Herzen. Sie will wieder frei sein. Das heißt es. Warum schaust du so versteinert? Warum erkenne ich keine Regung bei dir? Ich entschließe mich, ihr diesen Augenblick leicht zu machen. Ich reiche ihr die Hand. „Das akzeptiere ich so.“ Ich mache keine Szene. Das geht auch nicht. Eine Woche vor meiner ärztlichen Zwischenprüfung muss ich mich am Riemen reißen. Sie begleitet mich nicht zur Tür. Niemand öffnet mir das Gartentor. Da springe ich beherzt über den Zaun. Ich nehme mein Fahrrad und fahre nachhause. Alles was bleibt sind Tränen in meinen Augen und das bleibende Gefühl steten Fallens während der Fahrt. Ich kehre zu meinen Büchern zurück. Anatomie. Physiologie. Biochemie. Die Tage sind trist. Doch ich will nicht, dass Verzweiflung und Hoffnungslosigkeit in mir Raum gewinnen. Ich bleibe mit dem Lernen am Ball. Ich lese. Bis die Buchstaben vor meinen geschlossenen Augen zu tanzen beginnen. Mit Disziplin ziehe ich das Physikum gut und erfolgreich durch. Doch nun brechen die Gefühle über mich herein. Ich schütte meinem besten Freund mein Herz aus. Er hat eine Lösung. „Versuche es mit einer Generalentschuldigung. Für alles. Damit kannst du nichts falsch machen.“ Ich versuche es mit einer Generalentschuldigung. Aber es kommt anders als erhofft. Ihre Stimme ist sehr ruhig und sicher. „Ich möchte dir nicht wehtun. Aber ich habe mich nun einmal so entschieden. Und da gibt es kein Zurück mehr.“ Ich weine. Nur kurz. Ich will mich beherrschen. Ich will es ihr jetzt nicht schwer machen. Ich spreche nicht mehr. Wir gehen auseinander. Von da an fahre ich mit meinem Citroën 2CV oft in den Odenwald. Südlich von Darmstadt laufe ich einen Waldweg entlang, der an einen Golfplatz grenzt. Der Spätsommer hat herrliche Sommerabende. Ich setze mich auf den menschenleeren, abendlichen Golfplatz und schaue in die tief im Westen stehende Sonne. Jetzt lasse ich es an mich heran. Dass sie mir fehlt. Ich weine hier draußen auf meinem inzwischen vertrauten Waldweg viel und ohne Scham. Es ist mir gleichgültig, was Menschen denken, die mir entgegenkommen. Ich laufe vorbei am Forsthaus „Eiserne Hand“ und erreiche den Waldrand mit einer Bank, die hinter einem Feld den Blick auf das Dörfchen Roßdorf freigibt. Langsam begreife ich den Verlust. Langsam verstehe ich, was all das für mein weiteres Leben bedeutet. Ohne sie. Hat Cat Stevens nicht gesungen „The First Cut Is The Deepest“? – Ja. Dieser Schnitt ist tief und ich spüre ihn auch heute noch. Drei Jahre hatte ich auf eine Versöhnung gehofft, hatte gehofft, dass unsere Wege sich von allein wieder kreuzen. Am Ende der drei Jahre kreuzten sich unsere Wege tatsächlich wieder. Wir verabredeten uns zu einem gemeinsamen Waldspaziergang. Wir suchten den Jägerhochstand, auf dem wir damals an lauen Sommerabenden saßen. – Der Jägerhochstand war nicht mehr da. Vermutlich hat ihn der Jäger abgebaut. Sollte das ein Zeichen sein? Nein. Nicht für mich. An solche Zeichen glaube ich nicht. Ich hielt zwischen uns noch alles für offen. Da erzählte sie mir. „Vor einem halben Jahr habe ich ein gutes Buch gelesen. Es war von Floyd McClung und hieß ‚Das Vaterherz Gottes‘. Das Buch handelte von Versöhnung. Und ich dachte mit jeder Seite, die ich las, an dich.“ – Das klang nach drei Jahren mal wieder richtig gut. Ich lebte auf. Und dann schob sie gleich das nächste Ereignis aus ihrem Leben hinterher. „Vor zwei Monaten lernte ich meinen neuen Freund kennen. Und wir gehen seit kurzem miteinander.“ – Wer hätte das gedacht? Dass sie nun plötzlich einen neuen Freund aus dem Hut zaubert. Unsere Wege kreuzten sich wenige Wochen zu spät.
„Ich musste dich unbedingt sehen. Du fehlst mir so sehr.“ Ich schaue ihr in die Augen. Irgendetwas ist anders als sonst. Ich kann es nicht fassen. Und doch liegt etwas Schmerzvolles in der Luft. Sie sagt erst nichts. Dann spricht sie. „Wir haben uns so lange nicht gesehen. Und ich empfinde unsere Freundschaft nur noch als Druck und Zwang.“ Sie schaut mir bei diesem Satz kaum in die Augen. Sie weicht meinen Blicken aus. Ich fühle ein inneres Fallen in meiner Brust. Und all das – ausgerechnet jetzt – eine Woche vor meinem Physikum. Ein schlechteres Timing erscheint mir nicht denkbar. Meine Gedanken fangen an zu kreisen. Wie kann sie Druck und Zwang empfinden und sich gleichzeitig beklagen, dass wir uns so lange nicht gesehen haben? Wie passt das zusammen? Wahrscheinlich versteht man diesen Satz nicht mit dem Verstand, sondern nur mit dem Herzen. Sie will wieder frei sein. Das heißt es. Warum schaust du so versteinert? Warum erkenne ich keine Regung bei dir? Ich entschließe mich, ihr diesen Augenblick leicht zu machen. Ich reiche ihr die Hand. „Das akzeptiere ich so.“ Ich mache keine Szene. Das geht auch nicht. Eine Woche vor meiner ärztlichen Zwischenprüfung muss ich mich am Riemen reißen. Sie begleitet mich nicht zur Tür. Niemand öffnet mir das Gartentor. Da springe ich beherzt über den Zaun. Ich nehme mein Fahrrad und fahre nachhause. Alles was bleibt sind Tränen in meinen Augen und das bleibende Gefühl steten Fallens während der Fahrt. Ich kehre zu meinen Büchern zurück. Anatomie. Physiologie. Biochemie. Die Tage sind trist. Doch ich will nicht, dass Verzweiflung und Hoffnungslosigkeit in mir Raum gewinnen. Ich bleibe mit dem Lernen am Ball. Ich lese. Bis die Buchstaben vor meinen geschlossenen Augen zu tanzen beginnen. Mit Disziplin ziehe ich das Physikum gut und erfolgreich durch. Doch nun brechen die Gefühle über mich herein. Ich schütte meinem besten Freund mein Herz aus. Er hat eine Lösung. „Versuche es mit einer Generalentschuldigung. Für alles. Damit kannst du nichts falsch machen.“ Ich versuche es mit einer Generalentschuldigung. Aber es kommt anders als erhofft. Ihre Stimme ist sehr ruhig und sicher. „Ich möchte dir nicht wehtun. Aber ich habe mich nun einmal so entschieden. Und da gibt es kein Zurück mehr.“ Ich weine. Nur kurz. Ich will mich beherrschen. Ich will es ihr jetzt nicht schwer machen. Ich spreche nicht mehr. Wir gehen auseinander. Von da an fahre ich mit meinem Citroën 2CV oft in den Odenwald. Südlich von Darmstadt laufe ich einen Waldweg entlang, der an einen Golfplatz grenzt. Der Spätsommer hat herrliche Sommerabende. Ich setze mich auf den menschenleeren, abendlichen Golfplatz und schaue in die tief im Westen stehende Sonne. Jetzt lasse ich es an mich heran. Dass sie mir fehlt. Ich weine hier draußen auf meinem inzwischen vertrauten Waldweg viel und ohne Scham. Es ist mir gleichgültig, was Menschen denken, die mir entgegenkommen. Ich laufe vorbei am Forsthaus „Eiserne Hand“ und erreiche den Waldrand mit einer Bank, die hinter einem Feld den Blick auf das Dörfchen Roßdorf freigibt. Langsam begreife ich den Verlust. Langsam verstehe ich, was all das für mein weiteres Leben bedeutet. Ohne sie. Hat Cat Stevens nicht gesungen „The First Cut Is The Deepest“? – Ja. Dieser Schnitt ist tief und ich spüre ihn auch heute noch. Drei Jahre hatte ich auf eine Versöhnung gehofft, hatte gehofft, dass unsere Wege sich von allein wieder kreuzen. Am Ende der drei Jahre kreuzten sich unsere Wege tatsächlich wieder. Wir verabredeten uns zu einem gemeinsamen Waldspaziergang. Wir suchten den Jägerhochstand, auf dem wir damals an lauen Sommerabenden saßen. – Der Jägerhochstand war nicht mehr da. Vermutlich hat ihn der Jäger abgebaut. Sollte das ein Zeichen sein? Nein. Nicht für mich. An solche Zeichen glaube ich nicht. Ich hielt zwischen uns noch alles für offen. Da erzählte sie mir. „Vor einem halben Jahr habe ich ein gutes Buch gelesen. Es war von Floyd McClung und hieß ‚Das Vaterherz Gottes‘. Das Buch handelte von Versöhnung. Und ich dachte mit jeder Seite, die ich las, an dich.“ – Das klang nach drei Jahren mal wieder richtig gut. Ich lebte auf. Und dann schob sie gleich das nächste Ereignis aus ihrem Leben hinterher. „Vor zwei Monaten lernte ich meinen neuen Freund kennen. Und wir gehen seit kurzem miteinander.“ – Wer hätte das gedacht? Dass sie nun plötzlich einen neuen Freund aus dem Hut zaubert. Unsere Wege kreuzten sich wenige Wochen zu spät.